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Einzelausstellung in der Galerie Martin Mertens– 29.1.–12.3.2022

Nachdem die Galerie Martin Mertens in Berlin-Mitte den Berliner Künstler Peer Kriesel seit 2020 bereits bei Messen in Berlin und Amsterdam vorgestellt hat, zeigte sie dieses vielseitige Werk nun zum ersten Mal in einer Einzelausstellung in der Galerie.

Das zentrale Medium seines Schaffens ist die Zeichnung, er beschäftigt sich allerdings auch mit Skulpturen und Objekten. Eine der Werkgruppen umfasst Zeichnungen/Übermalungen auf historischen Papieren, wie Land- und Seekarten sowie Postkarten, die in der Vergangenheit bestimmte Funktionen und zum Teil einen hohen Wert für die Nutzer hatten. Es geht dabei auch um die Veränderung in der Wertschätzung und in der Bewertung von bedruckten Papieren als Kommunikations- und Informationsmedien. Während Seekarten bis ins 19. und 20. Jh. hinein ausgesprochen wichtig und wertvoll waren und sehr hilfreiche Informationsquellen darstellten, haben sie im Zeitalter von GPS und Google ihre Funktion und damit Wertschätzung weitestgehend verloren. Sie haben lediglich noch einen graphischen Wert. Durch die Übermalungen gibt Kriesel ihnen ein neues Leben und einen neuen Wert in einem anderen Kontext. Kriesel lässt sich für seine Zeichnungen von den Strukturen, Markierungen, Daten und Farben der historischen Bildträger inspirieren und bevölkert sie mit einem unergründlichen Universum aus Fratzen, Fabelwesen und Figuren, die mit feinstem Strich gezeichnet werden.
Sein gesamtes Werk ist stark geprägt vom Zeitalter der Digitalisierung. Es geht um Werte, die Beschleunigung der Kommunikation, die Veränderung der Wahrnehmung und den inflationären Konsum von Kunst und Medien. Sinnbildlich befassen sich die Werke der Kartenübermalungen mit der Orientierung in einem Zeitalter des Überflusses an Daten, Einflüssen, Eindrücken und Botschaften, die unstrukturiert heutzutage so nicht mehr zu erfassen und einzuordnen sind.

Eine Sonderstellung in Kriesels Werk nimmt die „Achim“ Gruppe ein. Zu dieser Werkreihe zählen Übermalungen alter Postkarten, Schriftstücke und Papiere aus dem Nachlass seines Ur-Onkels Achim. Sie erzählen eine persönliche, aber auch vergessene Geschichte, und auf alten, ästhetisch spannenden Unter- und Hintergründen entstehen im Kontrast neue Figuren und eine Welt aus der heutigen Zeit.
Neben alten Postkarten aus der Familie stammen die Papiere und Dokumente auch aus einer Zeit der Kriegsgefangenschaft während und nach dem 2. Weltkrieg. Die analogen kurzen Mitteilungen auf Postkarten der Feldpost versuchen Emotionen auf wochenlangen unsicheren Postwegen zu transportieren und stehen in starkem Gegensatz zu heutigen Twitter- oder Messenger Nachrichten.

„90110“
Übermalung / Achim – Aquarell/ Pigmenttinte auf Papier, 20,5 x 19 cm, 2020

Wir zeigen auch Beispiele seiner Wimmelbilder, in denen Kriesel den Betrachter in eine märchen-, fast fabelhafte Welt eintauchen lässt. Gleichzeitig konfrontiert er ihn mit der absurden realen Welt des Datenflusses, der Reiz- sowie Informationsüberflutung – einer Welt voller Gewalt und Frust, aber auch Absurditäten und humorvoll Schrägem. In seinen Bildern kann sich der Betrachter verlieren und oftmals eine Vielzahl an verschiedenen Szenerien betrachten. Diese „Wimmelbilder“ sind nicht auf den ersten Blick zu entschlüsseln – so kann der Betrachter immer wieder neue Themen und Dinge entdecken. Neben den geometrischen Formen versucht Peer Kriesel in den Werkreihen der Lines, Essences und The Blocks das Gewimmel in Ordnung zu bringen.

In den ME SO SMALL- Installationen in Kombination mit der Wand oder mit Objekten wie beispielsweise raren Automodellen wird der Künstler vermeintlich zum Vandalen. Er zeichnet mit gestischem Strich eine Fratzen-Zeichnung auf die Wand oder das Modell. Durch diese Aktion wird das wertvolle Objekt einerseits entwertet oder sogar beschädigt, gleichzeitig aber aufgewertet und zum Kunstobjekt erhoben. Dieser Widerspruch reizt den Künstler besonders, denn in einer Zeit, in der das Produzieren und das Konsumieren von Kreativarbeiten oder „nur“ schönen Dingen fast inflationär werden, verschieben sich auch die allgemeinen Wertvorstellungen. In der Interaktion mit der Wand vor Ort setzt Kriesel der schnelllebigen Zeit etwas entgegen: die feste Installation.

Galerie Martin Mertens

Linienstraße 148
10115 Berlin
Telefon: +49.30.440.433.50

martinmertens.com